Darf ich mit dem IEC work permit selbständig sein?

Ein Working-Holiday ist ein Open Work Permit. Das bedeutet, du darfst für jeden beliebigen Arbeitgeber arbeiten – unabhängig davon, ob du angestellt bist oder als Freelancer bzw. Contractor arbeitest (ausgenommen sind natürlich Tätigkeiten, die ausdrücklich auf dem Permit ausgeschlossen sind).

Mit dem Young-Professional sieht es anders aus: Du bist fest bei einem bestimmten Arbeitgeber angestellt und ausschließlich an diesen gebunden. Nebenjobs sind nicht erlaubt. Der Name des Arbeitgebers steht direkt auf deinem Work Permit, und nur diese Firma darf dich beschäftigen.

Viele Work and Traveller geraten früher oder später in die Situation, dass ein Jobangebot einfach zu gut klingt, um es abzulehnen – und dann stellt sich heraus, dass der Arbeitgeber dich nur als “Contractor” oder “Freelancer” einstellen möchte. Das heißt: Der Arbeitgeber kümmert sich nicht um Lohnabzüge oder Steuern. Du bekommst keinen offiziellen Lohnzettel (pay cheque), und es werden weder Steuern noch Beiträge zur Renten- oder Arbeitslosenversicherung einbehalten.

In einem regulären Arbeitsverhältnis (Employee) ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, bestimmte Abgaben direkt vom Lohn abzuziehen: darunter die Einkommenssteuer, Beiträge zur Rentenversicherung (CPP) und zur Arbeitslosenversicherung (EI). Diese Abzüge – also der Arbeitnehmeranteil – müssen vom Arbeitgeber an die Steuerbehörde abgeführt werden. Zusätzlich muss der Arbeitgeber auch seinen eigenen Anteil an CPP und EI leisten.

Wenn jemand jedoch als „Contractor“ oder „Freelancer“ eingestellt wird, entfällt diese Verpflichtung für den Arbeitgeber komplett. Das spart ihm Zeit, Geld und Verwaltungsaufwand – auf Kosten des Arbeitnehmers, der sich dann selbst um alle Abgaben kümmern muss.

Wenn eine Firma dich als "Contractor" einstellt:

  • drückt sie sich vor dem eigenen Anteil der CPP und EI Pflichtbeiträge,

  • muss sie keine Überstunden bezahlen,

  • muss sie kein vacation pay bezahlen,

  • muss sie kein statutory holiday pay (Feiertage) bezahlen.

Diese Extrazahlungen von Überstunden, Urlaubsgeld, Feiertage werden dir als “Contractor” alle entgehen. “Vacation pay” ist bei 4% vom Bruttolohn und in Kanada gibt es Feiertage, die bezahlt werden, auch wenn man an diesen nicht arbeitet. Und wenn man doch an Feiertagen arbeitet, gibt es 1.5x Überstundenzahlung. 

Doch damit nicht genug: Wenn ein Arbeitgeber dich als „Contractor“ einstuft, obwohl du eigentlich wie ein Angestellter arbeitest, kann das schwerwiegende Folgen haben – für ihn.

In Kanada gilt das als Steuerhinterziehung. Arbeitgeber, die sich auf diese Weise um Lohnabzüge und Arbeitgeberbeiträge drücken, riskieren empfindliche Nachzahlungen und hohe Strafen. Denn: Ein Arbeitgeber kann nicht einfach frei entscheiden, ob du Contractor oder Employee bist. Das bestimmt das Gesetz.

Mehr Infos >hier< auf der offiziellen Seite. 

Zusätzliche Nachteile als Contractor

  • Nicht unbedingt höherer Lohn

    Oft wird angenommen, dass der Stundenlohn als Contractor höher ist als der eines regulären Angestellten (Employee). In der Praxis ist das aber nicht unbedingt der Fall. Viele Unternehmen zahlen auch Contractors nur den Mindestlohn oder einen Lohn, der dem eines festangestellten Mitarbeiters entspricht. Der vermeintlich höhere Stundenlohn als Contractor ist daher eher die Ausnahme als die Regel.

  • Steuern

    Wenn du als „Contractor“ arbeitest, bist du offiziell selbstständig – also gleichzeitig Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Das bedeutet: Du musst nicht nur deine eigenen Steuern und Beiträge abführen, sondern auch den Arbeitgeberanteil übernehmen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Canada Pension Plan (CPP), also die staatliche Rentenversicherung. Normalerweise wird der Beitrag zur Hälfte vom Arbeitnehmer und zur Hälfte vom Arbeitgeber getragen. Als Contractor zahlst du beide Anteile selbst. Für das Jahr 2025 liegt der gesamte CPP-Beitrag bei 11,9 % deines Einkommens – zusätzlich zur Einkommensteuer. Das kann je nach Länge des Jobs und des Verdienstes schnell mehrere Tausend Dollar pro Jahr ausmachen.

  • GST/HST Registrierung

    Wenn du als Contractor oder Freelancer in Kanada arbeitest und innerhalb von vier aufeinanderfolgenden Quartalen mehr als $30.000 CAD verdienst, bist du gesetzlich verpflichtet, dich für eine GST/HST-Nummer (Mehrwertsteuernummer) zu registrieren. Ab diesem Zeitpunkt musst du: GST/HST (in der Regel 5–15 %) auf deinen Rechnungen ausweisen und einziehen, diese Beträge regelmäßig an die Steuerbehörde (CRA) abführen, und zusätzlich zur normalen Steuererklärung jedes Jahr eine GST/HST-Abrechnung (GST Return) einreichen.

  • Versicherung am Arbeitsplatz

    Der Arbeitgeber muss dich nicht gegen Arbeitsunfälle versichern. In einem regulären Arbeitsverhältnis ist der Arbeitgeber verpflichtet, dich über die Worker’s Compensation (je nach Provinz z. B. WorkSafeBC oder WSIB in Ontario) abzusichern. Das bedeutet: Wenn du bei der Arbeit verletzt wirst, sind medizinische Kosten und Verdienstausfall in der Regel gedeckt. Als Contractor entfällt dieser Schutz – der Arbeitgeber spart sich die Beiträge, und du trägst das volle Risiko selbst. Wenn du dich privat gegen Arbeitsunfälle absichern willst, kann das schnell sehr teuer werden – und viele Work and Traveller haben keine ausreichende Absicherung, ohne es zu wissen.

  • Haftung

    Als selbständiger contractor haftest du mit deinem Privatvermögen für deine Fehler. Im Falle einer Klage kann das Gericht von all deinen persönlichen Gegenständen, einschließlich deiner persönlichen Bankkonten, das nötige Geld einklagen. Deshalb solltest du eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen. Für die Arbeit in einem Büro ist es kein Problem, keine zu haben, aber wenn du beispielsweise als contractor im Baugewerbe angestellt wirst, bei dem ein gravierender Fehler zu einer riesigen Klage führen kann, ist eine Berufshaftpflichtversicherung unerlässlich. Der Arbeitgeber wird immer aus dem Schneider sein, denn er hat dich als contractor eingestellt und hat keine Haftung.

  • Arbeitslosengeld

    Wenn du als Contractor entlassen wirst oder dein Vertrag endet, hast du keinen Anspruch auf Employment Insurance (EI) Benefits, also kein Arbeitslosengeld. Das Arbeitslosengeld in Kanada ist ausschließlich für fest angestellte Mitarbeiter (Employees) vorgesehen – Contractors sind davon ausgeschlossen.

  • Falls du nach Kanada auswandern möchtest

    Wenn du beabsichtigst, über Express Entry mit der "Canadian Experience Class" nach Kanada auszuwandern, wird die Zeit als self-employment (contractor) nicht als Canadian Experience angerechnet. Nur Anstellungen als regulärer Angestellter (Employee) zählen für dieses Programm.

Ein Vorteil als Contractor

  • Man kann Ausgaben absetzen

    Als Contractor kann man einiges an Ausgaben absetzen, wenn man die Kassenzettel oder Rechnungen aufbewahrt. Als Contractor muss man in der Steuererklärung das Formular "T2125 Statement of Business or Professional Activities" ausfüllen und Einnahmen und Ausgaben melden.

Das Formular “T2125 Statement of Business or Professional Activities” kannst du dir >> hier << von der Seite der kanadischen Steuerbehörde herunterladen. Die gesamte Liste mit allen dazugehörigen Erklärungen zu den Ausgaben findest du >> hier <<.  

Allgemeine Fragen

Wann ist man ein employee (regulär angestellt)?

Wenn du diese Fragen mit “Ja” beantworten kannst.

  • Hat der Arbeitgeber den Verdienst oder Stundenlohn selbst festgelegt?
  • Wird der Arbeitgeber deinen Arbeitsplan/Schichtplan erstellen?
  • Entscheidet der Arbeitgeber selbst, wo, wann und wie du die Arbeit erledigen musst?

Woran erkennst du, dass du als Contractor eingestellt wirst?

Neben den bereits genannten Punkten ist ein deutliches Zeichen: Der Arbeitgeber verlangt von dir, Rechnungen zu stellen, oder sagt dir, du musst die Steuern selbst abführen. 

Als regulärer Angestellter (Employee) erhältst du hingegen einen Paycheque – also einen Lohnzettel, auf dem alle Abzüge wie Steuern und Sozialversicherungsbeiträge aufgeführt und bereits abgezogen sind.

Was passiert mir, wenn das raus kommt?

Abgesehen davon, dass du als Contractor höhere Beiträge zur Rentenversicherung (CPP) zahlen musst, passiert dir in der Regel nichts Negatives – denn du verstößt nicht gegen das Steuergesetz.

Es ist legal, als Contractor zu arbeiten, solange man ein gültiges work permit hat. Die Steuerbehörde kann allerdings den Arbeitgeber prüfen, wenn dieser falsche Angaben macht oder dich zu Unrecht als Contractor einstuft.

Was passiert für den Arbeitgeber bei falscher Einstufung?

Das Vorgehen eines Arbeitgebers, der Mitarbeiter fälschlicherweise als Contractor einstufen, nennt man in Kanada „tax evasion“ (Steuerhinterziehung) – und das ist eine Straftat.

Der Arbeitgeber muss rückwirkend alle ausstehenden Lohnsteuern und Pflichtbeiträge, inklusive des Arbeitnehmeranteils, nachzahlen. Dazu kommen oft hohe Strafen und Zinsen auf die überfälligen Beträge.

Wenn du dich trotzdem für den Job entscheidest und dir der zusätzliche Aufwand bewusst ist, solltest du etwa 30 % deines Einkommens zurücklegen, um bei der Steuererklärung gut vorbereitet zu sein und keine bösen Überraschungen zu erleben.

Wenn du sicher bist, dass du eigentlich ein employee warst, aber als Contractor bezahlt wurdest, probiere das hier

Wenn du die Steuererklärung online abgibst, z.B. kostenlos mit Wealthsimple (Anleitung hier), dann das Einkommen unter der Rubrik “Occasional Earnings” eintragen. Online musst du noch keine Nachweise hochladen. 

In dem gleichen Bereich, wo das T4 generiert wird, diese Rubrik suchen. Wenn man es als self employment income einträgt, muss man mehr Steuern zahlen und ich sehe nicht ein, warum du dafür bestraft werden sollst, wenn die Arbeitgeber Steuerbetrug machen.

Du musst nicht das aufwändige Formular “T2125 Statement of Business or Professional Activities” ausfüllen.

Ich empfehle, eine Excel-Tabelle zu führen. Darin sollte der Firmenname mit Adresse und Kontaktdaten stehen. Dann alle Einnahmen mit Daten auflisten, falls die Steuerbehörde später nachfragt oder um Nachweise bittet. Das ist bei hohen “Occasional Earnings” ziemlich oft der Fall, weil die Steuerbehörde wissen will, wo die Einnahmen her kommen. 

Sollte die Steuerbehörde also Nachweise anfordern, dann 

  • den folgenden unteren Text verfassen,
  • die Excel-Tabelle ausdrucken, 
  • die Nachweise der Zahlungen ausdrucken, 
  • alles einsenden 

Mit etwas Glück muss man dann den Arbeitgeberanteil an den CPP-Beiträgen (Rentenversicherung) nicht zahlen:

“In the tax year [Steuerjahr einfügen] I worked for this employer [Name und Adresse des Arbeitgebers einfügen]

From this employer I have never received payslips or a T4 for my work. They paid me as a contractor and did not deduct any taxes. I worked fixed hours, the employer set the wage and the work schedule. To this company I was a regular employee. I reported the income from this employer in line 10400 of the tax return to the best of my knowledge.”